Mitten im Meer
Es ist kein großes Geheimnis, dass ich das Meer liebe. Und noch viel mehr als das Meer liebe ich Inseln im Meer – genauer gesagt: Vor allem eine Insel. Helgoland ist mir in den letzten Jahren zum inneren Refugium geworden. Mindestens einmal im Jahr – manchmal sogar zwei Mal – muss ich raus auf die Insel und Kraft tanken.
Helgoland ist eine eigene Welt auf 170 Hektar, irgendwo dort draußen im Meer. Ganz egal, in welche Richtung Du auf der Insel schaust: Du siehst immer Wasser bis zum Horizont.
Als ich im Frühjahr kurz vor Ostern das letzte Mal auf Helgoland war, habe ich jeden Tag sehr viel mit Marie telefoniert. Sie war als kleines Kind das letzte Mal auf der Insel und interessierte sich sehr dafür, was sich seitdem verändert hatte und was nicht. Es ging ihr zu der Zeit gerade etwas besser und vorsichtig fassten wir den Plan, gemeinsam nach Helgoland zu fahren, sobald ihre Kräfte es wieder zulassen würden.
Wir unterhielten uns auch viel über die Geschichte Helgolands. Darüber, dass Helgoland vor Menschengedenken sehr wahrscheinlich mal mit dem Festland verbunden war und streng genommen gar keine Hochseeinsel ist. Auch darüber, dass die Engländer nach dem zweiten Weltkrieg die bis heute noch größte nicht-nukleare Explosion der Menschheitsgeschichte herbeiführten als sie auf dem Oberland Munition in die Luft jagten. Ihr ursprünglicher Plan, die Insel gleich mit in die Luft zu jagen, ging zum Glück nicht auf.
Irgendwann fragte Marie mich, ob ich irgendwelche Sagen oder Mythen über Helgoland kennen würde, vielleicht auch Seemannsgarn, das immer wieder gesponnen und so von Generation zu Generation weitergetragen wird. Ich musste ihre Frage verneinen, versprach aber, mich schlau zu machen. Schon bald stieß ich auf eine Sage über die Entstehung der Insel. In dieser verliebt sich ein fieser Meeresriese in die Tochter einer Königin und weil die Königstochter die Liebe des Riesen nicht erwidert, lässt er ihr Land überschwemmen und trennt die Insel so vom Festland.
Die Geschichte faszinierte uns und so spannten wir den Bogen weiter zur heutigen Zeit. Wir redeten und redeten am Telefon und während wir uns gegenseitig erzählten, wie die Geschichte in der modernen Zeit weitergehen könnte, merkte ich: Mensch, das ist nicht nur eine tolle Geschichte, das ist ein Buch. Und so nutzen wir meine Tage auf Helgoland im Frühjahr dafür, die Geschichte um Walguna, die Königstochter, zu entwickeln und zu einer runden Sache zu machen.
Noch auf Helgoland begann ich, aus der Geschichte eine Erzählung in Buchform zu machen. Wie immer zunächst handschriftlich in diverse Notizbücher. Und was soll ich sagen: Marie und ich hatten die Geschichte derart festgezurrt und durchdacht, dass es das schnellste Buch wurde, das ich je geschrieben habe. Dieser Tage nämlich bin ich wieder auf Helgoland und gestern habe ich das Buch beendet.