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Nicht zu fassen

Mitte November, mitten in einer regnerischen, kalten Nacht irgendwo in Berlin-Mitte. Vor einem geschlossenen Laden bildet sich nach und nach, doch unübersehbar eine Warteschlange. Hier stehen und sitzen auf mitgebrachten Klappstühlen Menschen, die es kaum erwarten können. Befinden wir uns in einem zeitlichen Wurmloch und die DDR-Bürger freuen sich auf Bananen? Oder hat Apple mal wieder ein neues technisches Must-Have angekündigt?

Weder noch – diese Menschen haben ihr Gehirn ausgeschaltet und stehen tatsächlich mitten in der Nacht schon für eine Tafel Schokolade an. Sie sind Opfer eines ganz einfachen und nicht mal sonderlich innovativem Marketing-Schachtzug, wie er im Kapitalismus am allerbesten funktioniert. Du hast das ein Produkt? Dann lass die Influencer mal machen und wenn es dann soweit ist, verknappe das Produkt künstlich.

Lindt hat den Trick drauf. Sonder-Edition heißt das dann gerne – ist auf tausend Tafeln limitiert und erzielt auf ebay schon Preise im vierstelligen Bereich. Und all die Konsumopfer springen drauf an. Nur wer eine Tafel echter Dubai-Schokolade sein Eigen nennen kann, gehört zu den coolen Leuten. Und nein, auf gar keinen Fall probieren. Dann ist die Tafel ja nichts mehr wert. Und schließlich sieht man bei den Influencern doch sehr gut, wie großartig die Schokolade schmeckt.

Da ist es dann auch egal, dass man 360 Tage im Jahr darauf schimpft, dass die Lebensmittelpreise in Deutschland schneller steigen als das kümmerliche Praktikanten-Gehalt im nächsten großen Start-Up, das noch immer kein Geld verdient. Diese fünf Tage, die der Hype hält, will man Teil des ganz Großen sein. Man will dazu gehören. Die Influencer essen Dubai-Schokolade und endlich kann man mitreden. Dass man selbst nur der Bodensatz ist, ohne den diese Marketing-Maschine nicht läuft – geschenkt.

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Also steht man mitten in der Nacht frierend vor einem geschlossenen Laden in Berlin und redet sich den Grund, warum man nun unbedingt so eine überteuerte Schokolade haben muss, eben schön. Man tut es ja für die Freundin, die Geburtstag hat. Und sonst würde man solch einen Hype ja nicht mitmachen, aber wenn man als Teil der Schlange seine berühmten fünf Minuten hat, weil ein Fernsehteam nach dem Anderen mit der Kamera vorbeikommt und einem das Mikro in die Fresse hält, ja dann kann man schon mal eine Ausnahme machen.

Ihr Opfer, wenn ich euch so sehe, wird mir derart schlecht, wie es mir von hunderten Tafeln Dubai-Schokoladen gar nicht werden kann.

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